Sci-Fi, in phantastisch! 94.

Inhalt:

Die letzte Geschichte spielt in einer Welt, die kurz vor dem Untergang steht. Das stimmt nicht ganz, eigentlich wird der Erde selbst nichts passieren. Es ist die Menschheit, die kurz vor ihrem Ende ist. Die letzte Geschichte erzählt aus dem Leben eines Menschen in seinen letzten Stunden und Minuten.

Sebastian wollte immer schreiben, hat es aber sein ganzes Leben lang aufgeschoben. Jetzt bleiben ihm nur mehr ein paar Augenblicke. Doch da sieht er ein hilfloses Kind auf den verwüsteten Straßen vor seiner Wohnung. Das Mädchen ist alleine und verängstigte im Angesicht von Chaos und Zerstörung. Denn so kurz vor dem Ableben der gesamten Menschheit gibt es scheinbar keine Regeln und Gesetze mehr, keinen Anstand und niemand, der einem Kind hilft. Oder zeigt Sebastian, dass es in den letzten Atemzügen seiner Spezies noch einen Funken Menschlichkeit gibt?

Auszug:

Die Geräusche von Autos und Straßenbahnen und Bauarbeiten, die sonst den Morgen zu einer entstellten Symphonie machten, fehlten. Stattdessen hörte er das beinahe romantische Prasseln eines geplünderten, brennenden Geschäfts etwas weiter die Straße runter. In seiner Vorstellung war es ein alter Kamin, in dem das Holz langsam von den Flammen angenagt und zerfressen wurde. Vereinzelte Pistolenschüsse wurden in seiner Vorstellung zu Neujahrskrachern. Entfernte Detonationen waren die Wellen, die an felsigen Klippen brandeten. Nur die verzweifelten Hilfeschreie einiger Menschen, die er nicht kannte und für die er unter normalen Umständen nichts empfinden würde, konnte er selbst mit dem größten Aufwand an Fantasie nicht in etwas Angenehmes verwandeln.

Er zündete sich eine Zigarette an und blickte auf das weiße, in die Schreibmaschine eingespannte Blatt Papier.

Bald ist die ganze Welt wieder genau so unbefleckt und unschuldig wie dieses weiße Blatt, dachte er. Sebastian zögerte einen Moment, dann schrieb er es auf. Jetzt zählte jeder Gedanke, jeder Satz, jedes Wort. Es waren die Letzten, die es noch geben würde.

Und es war das einzige, was ihm noch blieb. Was er eigentlich schreiben wollte, wusste er einfach nicht. Mein ganzes Leben, die Summe meiner Existenz, findet heute ihren Höhepunkt und ihr Ende, und doch habe ich nichts zu sagen.

Er ließ es bleiben. Stattdessen trank er in Ruhe sein Bier aus und lauschte der Verwüstung auf der Straße.

Sebastian stand auf und warf einen Blick von seinem Balkon. Ein kleines Kind, ein Mädchen, mit zerrissener Kleidung und rußgeschwärztem Gesicht, ging langsam und verloren über den Gehsteig. Die wenigen vorbei rennenden, kreischenden Menschen schenkten ihr keine Beachtung. Das Mädchen lutschte am Daumen und ging ziellos über die Straße. Dauernd wechselte es die Seite. Offensichtlich auf der Suche nach jemandem, den sie nicht mehr finden würde.

Scheiße, dachte Sebastian, schau nicht rauf. Schau nicht rauf. Schau nicht rauf!

Als hätte die Kleine ihn gehört, blickte sie die Häuserfront nach oben. Bevor sie bei seinem Balkon angelangt war, versteckte sich Sebastian schnell hinter seinem Geländer. Hinter seiner Schreibmaschine. Hinter dem weißen Blatt Papier.

Sebastian starrte auf das Blatt.

Die letzte Geschichte
Die letzte Geschichte

Hinter den Kulissen:

Die letzte Geschichte ist eine von mehreren Geschichten, die kurz vor dem Ende der Menschheit spielen. Seit einer Weile arbeite ich sporadisch an einer derartigen Storysammlung, in der alles kurz vor dem Ende der Menschheit spielt.

Die einzelnen Stories erzählen von den letzten Momenten verschiedener Menschen. Wie sie diese kostbaren finalen Augenblicke verbringen. Das reicht von teils banalen Handlung bis hin zu der Beerdigung eines geliebten Menschen oder einem aller letzten Mord, der für Gerechtigkeit sorgen soll, auch wenn es bald niemanden mehr interessieren wird.

In den Geschichten wird auch deutlich, dass es nicht die Welt ist, die untergeht, sondern dass es die Menschen sind, die verschwinden. Eine unbekannte Kraft oder Macht löscht die Menschen aus. Und zwar von einer Sekunde auf die andere. In einer der Geschichten wird auch näher darauf eingegangen.

Nach meinem Artikel im phantastisch! 88, freut es mich sehr, dass mit Die letzte Geschichte nun auch eine Story in dieser wirklich tollen Zeitschrift veröffentlicht wurde.

Rezensionen:

Bei den Storys gefiel mir Marco Rauchs “Die letzte Geschichte” sehr gut: Sebastian sitzt in seinem Zimmer, während um ihn herum die Welt zugrunde geht. Er schreibt die “letzte Geschichte”. Vieles in der Welt bleibt unklar und unbegründet, denn sie konzentriert sich auf den Wunsch, vor dem Tode noch etwas zu erschaffen und auch ein letztes Mal die eigene Menschlichkeit zu beweisen. Was tun wir noch, wenn alles zu Ende geht? (Und das Ende verrate ich nicht…)

Callibso, Goodreads