Sci-Fi, in Am Erker 87 Wir
Inhalt:
Emil marschiert durch einen Wald. Es wird das letzte Mal in seinem Leben sein, denn nicht nur sein Körper gibt nach und wird schwächer, auch die gesamte Menschheit steht kurz vor dem Ende.
Während der alte Mann sich nicht einmal von seinem morschen Körper aufhalten lässt und stur weiter marschiert, sinniert er über seine Vergangenheit und die Menschen in seinem Leben.
Auszug:
Er streckte seinen morschen Körper. Das kaputte linke Knie knackste dumpf. Wenn er darauf achtete, spürte er die falsche Hüfte und verabscheute den Fremdkörper in sich, der ihn zu einem leichten Hinken verdammte. Zehn Jahre trug er sie schon in sich. Noch immer hatte er sich nicht daran gewöhnt. Auf dem Rücksitz lag sein Gewehr. Er nahm es mit. Es war nicht richtig, das wusste er. Alma, seine verstorbene Frau, hätte es nicht geduldet. Aber Emil war nicht gläubig, in keinster Weise. Und er war sich sicher, sie würde es ihm verzeihen. Er wollte sich nicht vorschreiben lassen, wie es zu Ende ging. Er wollte es selbst tun, unter seinen Bedingungen. Außerdem fand er es passend, sich in dem Wald zu erschießen, wo er jahrzehntelang als Förster gearbeitet, Tieren aufgelauert und sie erlegt hatte. Es war nur recht, dass es ihm genauso erging wie seinen Tieren. Dass das Ende der Menschheit ihn dazu bringen würde, sich selbst zu erlegen. Noch bevor es geschah. Nur fair.
Emil marschierte durch den Wald. Bergauf nahm er sich mehr Zeit. Kaputtes Knie. Künstliche Hüfte. Hohes Alter. Natürlich, das Herz war auch nicht mehr das beste. Ohne lange auf den ausgetretenen Wanderpfaden zu gehen, die es bloß gab, damit sich Sonntagsspazierer trotz Beschilderung darauf verirren konnten, weil sie einfach keine Ahnung hatten und unfähig waren, die Augen aufzumachen, wich er direkt in den Wald aus und folgte seinem eigenen Pfad. Einem neuen. Einem, den er noch nie zuvor gegangen war. Nur hier konnte er das noch. Sonst war die ganze Welt schon ein ausgetretener Weg.
Emil kannte den Wald besser als sein früheres Zuhause mit Alma. Oder die schicke kleine Wohnung, in die sein Sohn Artur ihn gesteckt hatte, weil er meinte, den Vater dürfte man nach dem Tod der Ehefrau nicht alleine leben lassen, und er bräuchte dringend Gesellschaft. Nein, natürlich nicht die des Sohnes oder der Enkelkinder, die hatten schließlich ihr eigenes Leben. Was er bräuchte, wären Menschen seines Alters. Deshalb die kleine Wohnung. Teuer zweifellos. Aber nichts weiter als ein Apartment in einem luxuriösen Pensionistenheim. Und für den Fall, dass Emil zu alt werden würde, dass er ständig Pflege benötigte: Das dafür zuständige Heim, die Station, befand sich im anderen Flügel des Gebäudes. Wäre also nur eine minimale Übersiedelung von seinem Apartment zu einem Zimmer, geteilt mit zwei weiteren Pflegefällen. Zuerst sein Haus, von dort ins Apartment, dann ins Pflegebett und zum Schluss in die Urne. Kein Sarg. Verbrennen. Das war es, was er wollte. Genau wie Alma. Seine Asche in diesem Wald. Wo er auch ihre verstreut hatte. Illegal ja, aber das war ihm damals egal.
Das war jetzt unwichtig. Zu all dem würde es nicht mehr kommen. Heute war laut Vorhersage nicht nur sein letzter Tag, sondern der eines jeden. Sofern das alles nicht nur ein Schwindel war. Ein Schwindel von was? Wenn, dann um irgendetwas zu verkaufen. Ein neues Auto vielleicht? Oder Wohnungen auf dem Mars. Und es war auch kein gemeiner Werbegag. Emil fühlte es. Genau wie jeder Mensch weltweit. Es war die Wahrheit. Und das Ende ebenfalls.

Hinter den Kulissen:
Die letzte Wanderung ist, genau wie davor Die letzte Geschichte, eine von mehreren Geschichten, die kurz vor dem Ende der Menschheit spielen. Immer wieder ergänze ich diese geplante Storysammlung mit neuen Episoden aus den letzten Augenblicken verschiedener Menschen.
Es handelt sich dabei meist um relativ kurze Momentaufnahmen, die wirklich nur die letzten Augenblicke schildern sollen. Kurz bevor es mit der gesamten Menschheit vorbei ist.
Zusätzlich sehe ich Die letzte Wanderung auch ein bisschen als geistigen Verwandten von Der Erleger.
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